Das Great Barrier Reef ist weltberühmt für seine einzigartige Unterwasserwelt und entsprechend beliebt für Segel‑, Tauch- und Schnorchel-Trips. Leider liegt das Urlaubsparadies und UNESCO-Weltnaturerbe im Nordosten Australiens aber auch in einer Region, die regelmäßig von Wirbelstürmern heimgesucht wird. Insbesondere zwischen Januar und März ist das Risiko schwerer Zyklone an der Küste von Queensland erhöht. Während über Deutschland gerade ein Sturmtief nach dem anderen hinwegfegt, denke ich an einen gefährlichen Zyklon am Great Barrier Reef, den Stefan und ich persönlich im Januar 1998 miterlebt und glücklicherweise auch überlebt haben.
Von Airlie Beach aus zu den Whitsunday Islands
Es fängt alles ganz traumhaft an. Als wir von dem beliebten Urlaubsort Airlie Beach aus mit einem großen Ausflugsboot zu den Whitsunday Islands starten, weit und breit kein Sturm in Sicht. Unser Ziel ist das direkt im Riff liegende Hook Island und wir freuen uns auf einige entspannte Tage inmitten der wunderschönen Riff- und Inselwelt. Angekommen auf Hook Island starten wir erst einmal zu einem ausgiebigen Rundgang. Die Insel gefällt uns. Aber was sind das überall für gemeine „Bremsen“? Während wir über die Insel wandern, fallen immer wieder große, fiese Stechfliegen über uns her und geben sich alle erdenkliche Mühe, das Blut aus unseren Adern zu saugen. Irgendwie werden es kontinuierlich mehr und am nächsten Morgen liegen Heerscharen der schwarzen Biester tot in den Waschräumen unseres Hostels am Boden. Absolut eklig. Aus heutiger Sicht vermute ich, dass ebendiese Biester die Vorboten des Sturms waren. Eine direkte Warnung für den kommenden Horror.
Todesangst in der Nussschale
Nach dem Frühstück freuen wir uns auf einen geplanten Tauchausflug, doch unser Boot kommt und kommt nicht. Die Rezeption vertröstet uns ohne konkrete Angaben von Gründen immer wieder, aber nichts geschieht. Schließlich stornieren wir. Dann heißt es plötzlich, es kommt ein Sturm; alle müssen runter von der Insel. Kaum gesagt, ist die Katastrophe auch schon da. Am Bootsanleger steigen wir in winzige Nussschalen, die uns zu einem größeres Schiff bringen sollen. In dem extrem aufgewühlten Meer sind die offenen, kleinen Motorboote jedoch nur ein Spielball der hohen Wellen. Die Gewalt der Natur ist unbeschreiblich. Ein kleines Mädchen neben mir, das beim Besteigen der Boote von ihren Eltern getrennt wurde, hält zitternd vor Angst meine Hand. Während ich innerlich selbst Todesängste ausstehe, versuche ich, Souveränität auszustrahlen und das kleine Mädchen zu beruhigen. Je näher unsere Nussschale an das größere Schiff herankommt, desto mulmiger wird allerdings auch mir. Denn das größere Schiff droht völlig aus dem Ruder zu laufen. Es neigt sich massiv von einer Seite zur anderen und ist nur noch eine Fahne im Wind. Ich sehe bereits förmlich vor meinem geistigen Auge, wie das Schiff unser kleines Bötchen bei der nächsten hohen Welle verschluckt. Aber das Glück ist mit uns! Geschafft! Endlich sind wir an Bord. Doch kaum, dass wir aufatmen, beginnt bereits die nächste Zitterpartie. Die Schiffsbrücke ist völlig verwaist. Weit und breit kein Kapitän, Offiziere oder andere Assistenten in Sicht. Anstatt das Schiff zu steuern, hat der Kapitän offensichtlich das Ruder komplett sich selbst überlassen. So schaukelt das Schiff die ganze Zeit komplett unkontrolliert hin und her. Endlich taucht der Kapitän wieder auf. Es scheinen alle Mann an Bord zu sein und es geht volle Fahrt voraus Richtung Festland.
Gefangen in Airlie Beach
Nach einem kurzen Zwischenstopp auf einer weiteren Insel kommen wir endlich im sicheren Hafen von an. In Airlie Beach steuern wir direkt den Backpacker an, in dem wir zuvor ein Doppelzimmer reserviert haben. Erst jetzt erfahren wir von dem vollen Ausmaß des Sturms. Während man im australischen Slang bei einem kleineren Wirbelsturm von einem „Willy Willy“ spricht, haben wir es hier mit einem ausgewachsenen, echten Zyklon zu tun. Bei Townsville und Magnetic Island sind angeblich sogar Autos und Häuser ins Meer gespült worden. In jedem Fall sind alle Straßen raus aus Airlie Beach gekappt und keiner kann den Ort verlassen. So erhalten wir anstatt des eigentlich gebuchten Doppelzimmers auch nur noch ein Vierbettzimmer, das wir uns für ein paar Tage mit Fremden teilen müssen. Zum Glück ist es ein sympathisches junges Pärchen, das ähnlich tickt wie wir.
Da wir durch die aktuellen Wetterverhältnisse zu absolutem Nichtstun verdonnert sind, fällt uns schnell die Decke auf den Kopf. Außer kleineren Spaziergängen und Restaurantbesuchen ist an den nächsten Tagen leider nur wenig möglich. So schön das Great Barrier Reef und die Whitsundays bei schönem Wetter sind, nun ist uns langweilig. Nach drei Tagen können wir endlich weiter. Allerdings nur Richtung Inland. Da am übernächsten Tag unser Flug von Proserpine nach Perth geht, ergreifen wir die Chance. Adieu Great Barrier Reef! Wir hätten so gerne mehr von Dir gesehen, aber so ist es halt. Hoffentlich kommen wir irgendwann noch einmal wieder!